Ein Infografik-Experte spricht Tacheles! – Prof. Michael Stoll im Interview
Infografiken gewinnen im Marketing von Unternehmen und bei Zeitungen mehr und mehr an Bedeutung. Doch was ist eine Infografik eigentlich und wann setzt man sie ein? Was sind die No-Gos? Dies und mehr beantwortet uns der Professor für Informationsdesign und Medientheorie, außerdem Mitinitiator des Deutschen Infografikpreises, Michael Stoll, von der Hochschule Augsburg.
Die Infografik ist nichts wirklich Neues, aber sie erlebt in den letzten 20 Jahren einen Boom. Kein Wunder, denn sie hat bei der Leserschaft (Fokus auf Medien) eine hohe Attraktivität.
Prof. Stoll: „Die Verwendung der Infografik per se wird von der Leserschaft honoriert und als Signal gesehen, dass es dabei um eine fundierte Vermittlung von Informationen geht.“
Was ist eine Infografik eigentlich genau?
Der Begriff Infografik hat sich im Laufe der vergangenen Jahre weiterentwickelt. Während früher schon einfache Visualisierungen von Daten als Infografik bezeichnet wurden, beinhaltet der Begriff Infografik heute wesentlich mehr Aspekte: Die Infografik ist eine umfassende graphische Darstellung, die
- komplexe Zusammenhänge kompakt und präzise darstellt,
- strukturiert durch ein Thema leitet,
- durch viel Grafik und wenig Text lebt,
- Inhalte anschaulich aufbereitet,
- hohes Viralitäts-Potenzial – über Soziale Medien – besitzt.
Die Infografik lebt aus der perfekten Balance zwischen Bild, Text und Informationsgehalt. Wann genau diese erreicht ist, ist von Grafik zu Grafik unterschiedlich. Wie Professor Stoll bereits 2011 im Interview mit der Zeit sagte, sind ihre beiden Hauptaufgaben „visualisieren und zu vermitteln“. Dennoch gibt es bestimmte inhaltliche Merkmale, die jede gute Grafik erfüllen muss, um sich von einer schlechten zu unterscheiden:
- sie sollte ein mitreißendes/fesselndes Thema haben,
- sie sollte überraschende Fakten zu Tage bringen – einen Ah-Ha-Effekt haben,
- sie muss die relevanten Fakten und Zusammenhänge korrekt und verständlich darstellen,
- muss außerhalb des ursprünglichen Kontextes Sinn ergeben,
- schnell und gut lesbar sein,
- teilbar sein,
- und auf glaubwürdigen Informationen beruhen.
Und was genau macht eine Infografik eigentlich erst so richtig „cool“? Das hat Randy Krum sich auch gefragt und auf seinem Blog coolinfographics.com eine Umfrage gestartet. Randy Krum selbst setzt auf Würze in der Kürze – seine Antwort lautet: I know it when I see it. Besser hätten wir es auch nicht beantworten können. Im Folgenden noch ein paar weitere Zitate:
„Cool“ infographics effectively build links, drive social shares, and create buzz in a unique way.“
MATT SILTALA, President of Avalaunch Media
„An infographic is „cool” when it presents an important and complex story and does so with integrity and good looks.“
NATHANIEL PEARLMAN, Founder of Graphicacy and Timeplots
(Mehr dazu findet ihr auf coolinfographics.com/blog/tag/cool)
Warum und wann setzt man Infografiken ein?
Warum Infografiken gerne eingesetzt werden, liegt, wie Randy Krum in Cool Infographics schreibt, unter anderem daran, dass sie abstrakte und komplexe Zusammenhänge anschaulich darstellen können. Studien schätzen, dass zwischen 50-80% des menschlichen Gehirns damit beschäftigt sind, visuelle Reize wie Formen, Bewegungen, Muster, räumliche Wahrnehmung usw. zu verarbeiten. Es liegt in der menschlichen Natur, solche visuellen Muster zu erkennen. Wir können mittels einer Infografik aufbereitete Inhalte innerhalb von Sekunden erkennen und ihre Beziehung zueinander verstehen, denn, wie Prof. Stoll es ausdrückt, „die Visualisierung eines Zahlunterschieds nimmt man schneller wahr, als wenn man es aus einer Exceltabelle anhand der Zahlenwerte herausfinden muss.“
Infografiken werden überall da eingesetzt, wo „nicht lineare Information vermittelt wird, Zusammenhänge, Interdependenzen zwischen Informationseinheiten, d.h. wo Information undurchsichtig, komplex und schlecht zugänglich erscheint.“
Welche Arten von Infografiken gibt es?
Dazu gibt es, wie Prof. Stoll sagt, unterschiedliche Auffassungen wie man das Gebiet aufteilen kann. Er selbst vertritt die Meinung, dass man Infografiken nicht anhand der eigentlichen Visualisierung benennen sollte, sondern auf der Basis der zugrundeliegenden Information. Danach ergeben sich drei große Bereiche der Infografik, die laut Stoll die DNA der Infografik, die Reinform bilden:
- Zahlen und Zahlenverhältnisse sowie Datenvisualisierung: Zahlengrafik
- Sachen und Sachverhalte: Darstellung, Explosionszeichnungen von Objekten, Organigramme
- Visualisierung von räumlichen Bezügen: Kartografik
Allerdings findet man kaum Infografiken in Reinform. Meist sind es Kombinationen aus allen Bereichen.
Vor- und Nachteile von Infografiken
Vorteile
Als große Fans von Infografiken fällt es uns nicht schwer, Vorteile dafür aufzuzählen. Wir mögen Infografiken, weil:
- sie Informationen gebündelt präsentieren,
- durch sie Informationen schnell und effektiv aufgenommen werden,
- sie einprägsam sind durch viel Grafik & wenig Text,
- sie viele unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten bieten.
Für Prof. Stoll liegen die Vorteile der Infografik zum einen im großen Vertrauensvorschuss, der ihr entgegen gebracht wird. „Viele haben Respekt vor Infografiken, weil ihr eine sehr genaue Recherche und Analyse von Daten vorausgeht und natürlich eine komplexe Visualisierung, die auch handwerklich nicht einfach ist.“
Und zum anderen in ihrer Leistungsfähigkeit, die sich aus der Kombination zweier Ebenen zusammensetzt:
- Der Visualisierung selbst bzw. der Übersetzung von Information, die sonst abstrakt oder schlecht zugänglich ist
- Der Erklärung dessen, was visualisiert wird.
Nachteile
Trotz zahlreicher Vorteile sehen wir in Infografiken aber auch ein paar Nachteile:
- Enormer Zeitaufwand bei Recherche und Gestaltung
- Der Text in Infografiken ist als Grafik integriert, d.h. er kann von Google nicht als Text im Bild gelesen werden
- Man kann URLs einfügen, aber keine echten Links
Auch Prof. Stoll benennt einen Punkt, der schnell zur Falle werden kann:
„Eine Infografik ist Teamarbeit und erfordert unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Kompetenzen aus dem Grafikdesign, Journalismus, vielleicht auch aus der strategischen Planung, die zusammenarbeiten müssen. Und da liegen ganz viele Stolpersteine, denn: Infografik mal so eben machen, das geht nicht!“
Und was denkt Matt Cutts über die Infografik?
Zwar macht Matt Cutts seit ca. einem Jahr Pause von Google, trotzdem möchten wir hier sein Statement zum Thema Infografik anführen:
„Im Grunde gibt es nichts am Konzept der Infografik auszusetzen. Was mich allerdings stört ist, was die Leute damit anstellen. Sie kommen zu sehr vom Thema ab oder arbeiten mit schlecht recherchierten Fakten. Die Infografik mag ja gut aussehen, aber wenn die Informationen, auf denen sie aufbaut, falsch sind, dann führt sie die Menschen hinters Licht.“
Merke also: Wenn ihr euch dafür entscheidet, eine Infografik zu einem Thema zu erstellen, achtet darauf, dass ihr das Thema gründlich recherchiert und den Inhalt, Daten und Fakten, in den richtigen Bezug zueinander stellt. Denn eine Infografik, die auf falschen Tatsachen beruht oder einfach falsche Verhältnisse präsentiert, ist Google ein Dorn im Auge und auch eure User werden nicht erfreut sein, wenn sie feststellen, dass die Informationen fehlerhaft sind.
Prof. Stoll: „Man muss immer den Weg zurück zu den Daten, zu den Grundlagen ermöglichen, d.h. der Betrachter muss immer wieder zugreifen können auf die Grundlagen der Grafik.“
Absolute NO-GOs
Was für Professor Stoll gar nicht geht ist, wenn mit einer Infografik unvermittelt Konventionen verletzt werden und handwerkliche Fehler, z.B. wenn Perspektivregeln missachtet werden. Denn die „Grundlage der Zahlengrafik ist z.B. die Statistik und die Darstellung statistischer Ergebnisse. Wenn da z.B. die Nulllinie fehlt und die Daten erst ab einem bestimmten Wert beginnen, damit die Kurve dramatischer aussieht, dann ist das ein No-Go.
„Größtes No-Go ist eine Infografik ohne Informationen!“
Die Zukunft der Infografik in Deutschland
Im Zeitinterview von 2011 sagte Prof. Stoll, dass sich der Blick nach Skandinavien, besonders nach Schweden und Dänemark lohnt. Dort kommt in den Zeitungsredaktionen auf zehn klassische Journalisten ein Infografiker. Von solchen Verhältnissen träumen die meisten deutschen Verlage. Das Ziel ist die Institutionalisierung des Berufs Infografiker.“ Wir haben ihn 20 15 nochmal gefragt, wie das Verhältnis in Deutschland heute ist und wie hat es sich seit 2011 entwickelt hat?
„Bei der Zeit oder SZ werden Infografikabteilungen weiter ausgebaut. Nicht so stark im Print aber vor allem im Online-Bereich, wo es um Datenvisualisierung geht oder interaktive Karten. Dort werden verstärkt Absolventen eingesetzt.“
Als Paradebeispiel nennt Prof. Stoll die New York Times mit 40 Online-Infografikern. Dennoch nennt er die Integration der Infografik auch in Deutschland gelungen.
Die Zukunft liegt für Prof. Stoll ganz klar bei „den umfangreicheren Erklärstücken, die unterschiedliche Aspekte auf sich vereinigen. Nicht mehr nur die singuläre Zahlengrafik, Sachdarstellung oder Kartografie, sondern das Verheiraten dieser drei Teildisziplinen wird noch weiter zunehmen.“ Als deutsches Vorbild sieht er die Zeit, die wöchentlich ganzseitige Infografiken institutionalisiert hat. „Das erzeugt gewissen Zug. Aber man muss auch sagen, dass inzwischen Marketing Abteilungen und Unternehmen auf den Trichter der Infografik gekommen sind und festgestellt haben, dass ihre Informationen über Infografiken sich viel besser, schneller und effizienter kommunizieren lassen.“
Deutscher Infografik Preis
Dass die Infografik weiter an Bedeutung gewinnt, zeigt auch der 2014 zum ersten Mal ausgerufene Deutsche Infografik Preis mit rund 350 Einreichungen (Prozess für die zweite Runde läuft gerade). „Wenn man die Einreichungen anschaut, dann kommt eine richtige Welle auf uns zu.“ Neben Medienunternehmen wurden auch Infografiken aus der Unternehmens- oder Verbandskommunikation eingereicht, z.B von Umweltverbänden, Amnesty International, Umweltschutzorganisation u.v.m. Prof . Stoll zieht daraus die Schlussfolgerung, dass sich dort viel ändert. Zwar noch nur unter der Oberfläche, aber doch.
Und wo finde ich nun einen tollen Infografiker?
Logische Konsequenz der Entwicklung ist, dass Infografiker zukünftig noch gefragter sind. Aber wo findet man als Unternehmen einen guten Infografiker? Prof. Stoll kennt zwei Herangehensweisen:
- Viele (Medien-)Unternehmen versuchen bereits während des Studiums über Kooperationsprojekte, z.B. an der Hochschule Augsburg, die Leute kennenzulernen, die sie evtl. später anwerben wollen.
- Man besucht die Ausstellung der Abschlussarbeiten (Werkschau) an der Hochschule und sucht dort das Gespräch mit den Absolventen.
Prof. Stoll: „Berufschancen im Bereich Informationsdesign sind exzellent. Absolventen werden meist direkt nach dem Studium angestellt oder machen sich selbständig.“
Fachbücher zur Infografik
Für diejenigen unter euch, die noch mehr Informationen zu Infografiken sammeln, und nicht mehr bis zu unserem zweiten Teil, der sich mit der grafischen Umsetzung befassen wird, warten möchten, lohnt sich ein Blick in diese Bücher. Aber Obacht! Lest die Bücher lieber in der Originalsprache, denn es ist schon vorgekommen, dass wichtige Informationen einfach falsch übersetzt wurden.
- Alle Bücher von Edward Tufte
- Donna Wong’s The Wall Street Journal Guide to Information Graphics (Anmerkung: Bitte in der englischen Originalversion lesen, denn dieses Buch ist sehr fehlerhaft übersetzt worden!)
- Isabel Meirelles‘ Design for Information
- Alberto Cairo’s The Functional Art: An Introduction to Information Graphics and Visualization